Man spricht und denkt anders, wenn man genießt.

Interview mit Sonja Harnisch von fein gedacht

Erschienen am 13. August auf fein gedacht Kommunikation

„Über Kunst lässt sich ja bekanntlich nicht streiten. Und wenn Kunst außerdem neue Ideen mit hausgemachten Köstlichkeiten und spannenden Gesprächen verbindet, erst recht nicht. Wer am 22. und 23. August in Paderborn ist, sollte die Gelegenheit nutzen, bei „SLOE“ vorbeizuschauen, am 22.8. im Weindorf Schloss Neuhaus und am 23.8. während der Museumsnacht vor der Städtischen Galerie, an beiden Tagen von 18-24 Uhr.
„SLOE – Tu dir Gutes“ ist ein Kunstprojekt von Anneli und Andrea vom Künstlerkollektiv „dilettantin produktionsbüro“ und auf den ersten Blick ist es ein lachsfarbener Marktstand. Doch dahinter steckt viel mehr, wie die Künstlerinnen im Interview erklären.

 Foto: A.Lühmann/dilettantin produktionsbüro
Foto: A.Lühmann/dilettantin produktionsbüro

Hinter diesem Projekt steht ein fein gedachtes Konzept. Wie ist „SLOE – Tu dir Gutes“ entstanden und welche Idee steht dahinter, Anneli und Andrea?

dp: Wir haben 2012 eine Einladung von dem Münchner Kurator Florian Matzner zur Teilnahme an dem Kunstprojekt im öffentlichen Raum “Tatort Paderborn – Phänomen Fußgängerzone” erhalten. Da wir meist raumbezogene Inszenierungen und temporäre Orte an der Grenze zwischen Kunst und Alltag kreieren, haben wir im Vorfeld Paderborn mehrfach besucht, um in die Atmosphäre der Stadt einzutauchen und ihre Geschichte kennenzulernen. Klar war, dass wir einen mobilen Gesprächsort gestalten wollten, der an immer anderer Stelle im Stadtraum auftauchen kann und sich mit seiner alltäglichen Umgebung tarnt – und somit auf den ersten Blick nicht als Kunst wahrnehmbar ist. Da wir in unseren künstlerischen Arbeiten gerne eine kulinarische Ebene einsetzen, lag ein Foodtruck nahe. Der sinnliche Genuss verführt auf eine angenehme Weise zum Bleiben und auch zum Gespräch oder regt einfach nur den Geist an. Man spricht und denkt anders, wenn man genießt. In unserer Recherche stießen wir auf die lange Klostertradition von Paderborn, die das kulinarische Angebot von SLOE merklich inspiriert hat.

 Foto: A.Lühmann/dilettantin produktionsbüro
Foto: A.Lühmann/dilettantin produktionsbüro

Was erwartet die Besucher bei „SLOE – Tu dir Gutes“?

dp: Der Name SLOE bedeutet auf Englisch ‚Schlehdorn’. Die Schlehe ist ein Rosengewächs, deren Elixier den Organismus von innen kräftigt. Außerdem stellten wir bei unserer Nachforschung fest, dass Bauern früher ihre Äcker mit Schlehdornhecken umpflanzt haben, um ‚Hexen’ oder das sog. ‚Böse’ abzuhalten. Man könnte also sagen, die Schlehe stärkt und schützt von innen und von außen – und daraus wurde das Motto für unseren künstlerischen Beitrag. Die lautsprachliche Verwechslung mit ‚slow’ ist durchaus erwünscht, unser SLOE Food ist auch Slow Food. Das kulinarische Angebot reicht von frischen grünen Säften über besondere Kräutertees, hausgemachte Limonaden, regional vertriebenen Kaffee, Gewürzgelees bis zu Energiekeksen nach Hildegard von Bingen – und sogar eine Mode-Edition gibt es, die wir erstmalig beim katholischen ‚Libori-Fest’  vorgestellt haben. Das SLOE-Shirt ist mit einem Print bedruckt, der sich auf Symbole der Stadt bezieht, und es wehrt das Böse ab.

Ihr seid nicht nur Künstlerinnen, sondern auch Zauberinnen?

dp: Genau! Jeder sollte deshalb so ein Shirt haben! Die Motive auf dem Shirt entstammen unseren Assoziationen zum Schlehdorn und zur Geschichte Paderborns. Ein Pfauenauge oder ein großer roter Flügel lassen sich auf unterschiedliche Weise übersetzen. So kann der Flügel ein Vogelflügel sein oder aber auch den Paderborner Feuerengel andeuten. Auf jedem Shirt ist ‚Tu dir Gutes’ zu lesen, das unser SLOE-Motto zusammenfasst, sich ganz bewusst Gutes zu tun. Dazu gehört für uns gutes Essen genauso wie das Innehalten im Alltag oder auch das bewusste Einkaufen von Kleidung. Die Edition ist in Kleinstauflage in Norddeutschland gedruckt und gefertigt worden und noch kann auf Bestellung nachproduziert werden. Zwei der Muster haben einen roten Flügel auf der Vorderseite, eins einen blauen Flügel. Auch den Schnitt haben wir selbst entwickelt und von vielen unserer Freund_innen probetragen lassen. Wir hatten den Anspruch, dass das Shirt an ganz vielen unterschiedlichen Körpern toll aussieht und verrückterweise ist uns das, glauben wir, sogar gelungen: Alle, die es anprobiert haben, wollten eines haben.


SLOE_PLAKAT


Was macht für euch persönlich „Kunst“ zu „Kunst“?

dp: Kunst hat immer etwas mit Kunstbehauptung zu tun, mit Zeichensetzung. Wir arbeiten mit der Unsichtbarkeit von Kunst – man kann Kunst nicht anfassen, da Kunst selbst immateriell ist, aber man kann sie denken und wahrnehmen. Insofern verwenden wir einen erweiterten Kunstbegriff, den es so erst seit Anfang des letzten Jahrhunderts gibt. Natürlich muss man als Publikum eine Bereitschaft mitbringen und eine gewisse Neugier (sonst kann man diese Art von Kunst tatsächlich verpassen). Wir erleben oft, dass Leute zu unseren Projekten kommen, die sich auf eine nicht eindeutig zu erklärende Weise angesprochen fühlen, und sich dann plötzlich in einem angeregten Gespräch über Kunst und Gott und die Welt finden. Letztendlich geht es uns um Kommunikation und um Beteiligung. Das kann auch mal eine Debatte sein, unsere Arbeit würde nicht so gut funktionieren, wenn das Gespräch darüber, ob so etwas Kunst sein kann, nicht relevant wäre. SLOE ist eine soziale Skulptur – und alle die mit uns in Kontakt treten, die wir dazu verführt haben, an den Wagen heranzutreten, werden im selben Moment Teil des Kunstwerks. Das klingt sehr abstrakt, aber es ist eigentlich ganz simpel und hat viel mit der Lust am Spiel und subversiver Inszenierung zu tun. Auf diese Weise können wir eine Art Kunstvirus auslösen, etwas das den Betrachter/in nicht mehr loslässt und hoffentlich nachhaltig bewegt. Wir verstehen uns quasi als Agentinnen im Namen der Kunst, die immer mehr Menschen mit der Sehnsucht nach Kunst infizieren wollen.

Vielen Dank für das Gespräch, Anneli und Andrea!“